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Zeit für Utopien

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Zeit für Utopien? Zeit für Realisierung!

Es ist „Zeit für Utopien“ – wir leihen uns den Titel eines Films von Kurt Langbein, der kürzlich in die Kinos kam und uns auf eine Entdeckungsreise zu den Einsteigern in eine bessere Gesellschaft führt. Es ist auch Zeit, sich Gedanken über ihre Umsetzung zu machen – und loszulegen. Eine seit Jahren diskutierte Utopie ist die Einführung eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ (BGE). Eine aktuelle Publikation diskutiert das Für und Wider, skizziert die verschiedenen Modelle und macht konkrete Vorschläge, wie es schrittweise realisiert werden kann.

Von Unternehmern wie Götz Werner, von zivilgesellschaftlich Engagierten wie Susanne Wiest in Mecklenburg-Vorpommern oder Daniel Häni und Enno Schmidt in der Schweiz bis hin zu Konzernvorständen wie Timotheus Höttges (Telekom) und Elon Musk (Tesla) reicht die Palette der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). In Finnland, aber auch in außereuropäischen Ländern wurden Modellversuche gestartet (das finnische Experiment ist derzeit ein „Auslaufmodell“), in der Schweiz eine Abstimmung zur Einführung des BGE durchgeführt, die zwar scheiterte, aber dennoch der Idee neuen Auftrieb und Aufmerksamkeit verschaffte. Fest scheint zu stehen: Die Diskussion um das Grundeinkommen ist nicht wieder „einzumotten“ – sie wird, trotz des bevorstehenden „Aus“ in Finnland, wohl weitergehen. Nur wie? Und um was geht es dabei eigentlich?

Globalisierung und Digitalisierung stellen zunehmend die Grundlagen unseres bisherigen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems infrage, das auf dem Versprechen beruhte, durch Arbeit zu Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung zu kommen. Brüchige, löchrige Erwerbsbiografien sind eher die Regel als die Ausnahme geworden, junge Menschen können kaum noch darauf hoffen, in unbefristete, potenziell lebenslange Arbeitsverhältnisse übernommen zu werden, geschweige denn bis zum Rentenalter beschäftigt zu werden und danach von einer entsprechenden Altersversorgung leben zu können. Modelle der „privaten Vorsorge“ haben sich als ungenügend erwiesen und nutzen mehr den Anbietern. „Selbstständige“ und „Freie“ werden mit symbolischen Beträgen für ihre Arbeit abgespeist, die die Bezeichnung „Lohn“ kaum verdienen und eher als Almosen bezeichnet werden müssen, wenn nicht gar als Beleidigung (der Verfasser weiß, wovon er spricht). Bisherige Strukturen und tragfähige Interessenvertretungen auf Arbeitnehmerseite sind geschwächt (Gewerkschaften) usw. Eine Reform des bisherigen Sozialsystems scheint unumgänglich, kommt aber über kosmetische Korrekturen nicht hinaus. Die Idee eines BGE erscheint da wie ein Rettungsanker.

Auch in Deutschland werden – von allen politischen Seiten – immer wieder Vorschläge gemacht, das Sozialsystem zu reformieren und ein Modell einzuführen, das allen Bürgern ein würdevolles Leben ermöglicht, ohne von einer existenzsichernden Erwerbsarbeit oder dem Gang zum Sozialamt abhängig zu sein. Jüngst wurde in Schleswig-Holstein unter den Partnern der neuen schwarz-gelb-grünen Koalition mit der Errichtung eines „Zukunftslabors“ auch vereinbart, die Möglichkeit eines Grundeinkommens zu prüfen. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen arbeiten dafür oder bieten – wie z. B. auch der Verein „Mein Grundeinkommen“ – auf privater Ebene bereits Einstiege ins Grundeinkommen an, finanziert durch Spenden.

Ebenso stark und ebenso aus allen politischen Lagern tönen die Gegenstimmen, die entweder ein BGE für unfinanzierbar halten oder aber mutmaßen, es ginge schlicht um eine „Lizenz zum Faulenzen“. Bezeichnend hierfür sind auch reißerische Headlines, allerdings die Diskussion verzerrende Berichterstattungen wie Finnen begraben Grundeinkommen. Keine 560 Euro mehr fürs Nichtstun.

Dabei kann man noch nicht einmal von „Scheitern“ sprechen, wenn das Ende eines Experiments nicht dem Experiment selbst, sondern nur dem Machtspruch durch eine politische Entscheidung entspringt. Dass im Gegenteil die Empfänger dieser Grundsicherung es schafften, sich eine neue Existenz aufzubauen – also eigentlich ein Beleg für das Funktionieren – wird schlicht unterschlagen.

Andere, wie zum Beispiel der Kandidat der Linken für die vergangenen Bundespräsidentenwahl, Claus Butterwegge, warnen gar vor einem Ende des Sozialstaates und sehen im BGE nur ein weiteres Instrument der Marktradikalisierung, während Befürworter zwischen der Begeisterung für ein vom Erwerbsarbeitszwang befreites Leben und der dadurch freigesetzten Kreativität und der nüchternen Berechnung schwanken, dass dadurch die Konsumfreude gesteigert werde, die die Wirtschaft entsprechend ankurbele.

Eva Douma, Sozial- und Verwaltungswissenschaftlerin sowie Rechtshistorikerin – also keine Ökonomin (aber ob das ein wirkliches Manko ist, sei mal dahingestellt) – hat das inzwischen wuchernde Diskussionsfeld gesichtet und gelichtet. Ihr Buch „Sicheres Grundeinkommen für alle. Wunschtraum oder realistische Perspektive“ (CividaleVerlag, 209 Seiten, € 19,90) dekliniert das Für und Wider durch, durchleuchtet die Argumente der Gegner und zeigt Wege, wie das BGE schrittweise und mit Augenmaß eingeführt werden kann, ohne dass bestehende Ansprüche (etwa Renten und Pensionen) verletzt werden. Ihre Vorschläge reichen von der Zusammenlegung bereits bestehender Geldtöpfe über die Durchforstung des Subventionen-Dschungels bis hin zur Streichung von überholten Steuerprivilegien wie dem Ehegattensplitting, das auf Voraussetzungen aus den 60er-Jahren beruhe oder einer Anhebung des Spitzensteuersatzes, der derzeit bei 42 Prozent liegt im Gegensatz zur Regierungszeit der schwarz-gelben Regierungszeit unter Helmut Kohl, wo er 53 Prozent betrug.

Auch mit der gegnerischen These, die Einführung eines BGE bedeute das Ende der Arbeitsgesellschaft, setzt sie sich auseinander und beruft sich dabei auf zahlreiche Studien, auch aus dem liberalen Lager, die in der Erwerbsarbeit mehr als nur die Sicherung des Lebensunterhalts sehen. Vielmehr sei Arbeit auch ein Mittel der sozialen Anerkennung. Dementsprechend sei auch Nichterwerbsarbeit nicht als Faulheit oder bloßer Zeitvertreib anzusehen, sondern erhöhe die Chance, ehrenamtliche oder auch bisher wenig honorierte Arbeiten besser zu stellen.

Doumas Buch ebenso wie manche in jüngster Zeit vermehrt im TV ausgestrahlte Dokumentation zum BGE verdeutlichen, dass die Frage, ob ein BGE eingeführt werden sollte, letztlich keine Frage des Geldes ist, sondern des Menschenbildes, das jeweils vertreten wird. Bezeichnend dafür ist die Haltung, die etwa anderen jeweils unterstellt, zum Nachteil des Gemeinwohls nicht mehr arbeiten zu wollen, während man selbst mit einem Grundeinkommen selbstverständlich noch einer Arbeit nachgehen werde. Douma zeigt, dass es sich hierbei um eine unbegründete Vermutung bzw. ein schlichtes und bequemes Vorurteil handelt.

Ob – wie von anderer Seite vermutet – ein Grundeinkommen zu (weiterem) Lohndumping und zur Abschaffung des Mindestlohns führen würde, ist natürlich ebenfalls fraglich. Denn der Verweis darauf, dass man ja ein Grundeinkommen beziehe und deshalb die Entlohnung der Arbeit geringer ausfallen müsste oder könnte, zieht natürlich nicht – der Arbeitgeber erhält das BGE ja ebenfalls.

Bis es so weit ist oder sein könnte, dass alle Bürger in den Genuss eines BGE kommen, wird natürlich noch einige Zeit verstreichen. Doch das ist kein Grund, nicht schon mal damit anzufangen – und zwar nicht, wie in Finnland, für eine begrenzte Anzahl von Menschen und für eine begrenzte Zeit, sondern mit einzelnen Gruppen und dauerhaft. Auch dazu nimmt Eva Douma Stellung und schlägt vor, das BGE schrittweise z. B. zuerst für Kinder und Rentner einzuführen. Ihren Berechnungen nach könnte ein BGE in Höhe von 458 Euro für Kinder und von 1000 Euro für Rentner ab dem 65. Lebensjahr bereits aus den heute für diese Gruppen bereitstehenden Mitteln finanziert werden.

Dass ein BGE zu einer umfassenden Veränderung der Gesellschaft führen würde, wird von der Verfasserin nicht nur angenommen, sondern begrüßt. Um ein BGE für alle einzuführen, sind gesellschaftspolitische Entscheidungen zu treffen, die sowohl die Arbeitswelt als auch die Familien und überhaupt das Zusammenleben der Menschen beträfen. – Doch sind diese Veränderungen überhaupt erwünscht? Sprechen nicht allein schon divergierende Interessen dagegen, dass ein BGE ein Erfolgsmodell werden könnte?

Hier kommen wir zur „Achillesferse“ des Ganzen. Denn Besitzstandswahrung ist das Mantra der gegenwärtigen Zeit, nicht der Wunsch nach Veränderung, schon gar nicht nach einer radikalen. Man sieht es an den steigenden Zustimmungen für rechtskonservative bis rechtsradikale Ab- und Ausgrenzungsparteien, man sieht es an der schwindenden Solidarität der Bürger untereinander. Man sieht es an der Hasenfüßigkeit einer Politikerkaste, die ängstlich nur von einem zum anderen Wahltermin linst, um es sich nicht mit potenziellen Wählern zu verderben.

Was soll zum Beispiel eine im aktuellen Koalitionsvertrag vorgesehene „Rentenreform“ bringen, die bis 2025 (wir haben 2018!) das Absinken des Rentenniveaus verhindern soll und weitere Maßnahmen auf die Zeit danach verschiebt? Langfristige, umfassende gesellschaftspolitische Visionen und Strategien sucht man bei den Parteien bisher vergebens. Lordsiegelbewahrer des Status quo finden wir dagegen haufenweise. Statt für eine neue Sicht auf Gesellschaft und Staat zu kämpfen, selbst auf die Gefahr hin, sich blutige Nasen in Form von schlechten Wahlergebnissen zu holen, verschanzen sich die derzeitigen Mandatsträger, scheuen Diskussionen innerhalb und außerhalb ihrer Parteien und setzen darauf, dass sich die Probleme von selbst lösen. Von der im Grundgesetz verankerten „Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes“ (Art. 21 GG) ist jedenfalls wenig zu spüren. – Soll alles möglichst so bleiben, wie es ist. Wer so denkt, wird jedoch – allerdings verdient – scheitern.

Die Zeit, um solche Fragen an Mandatsträger*innen bequem delegieren zu können und auf „Erlösung von oben“ zu hoffen ist vorbei. Es ist Zeit für Utopien? Nein, sondern für ihre Umsetzung. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Zivilgesellschaft, sich ihrer Realisierung anzunehmen.

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