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Handlungsfreiheit statt Freihandel

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Thilo Bode (Mitarbeit von Stefan Scheytt): Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt und uns allen schadet, München, DVA Sachbuch 2015, 272 Seiten, gebunden, € 14,99, zu beziehen über die Buchhandlung Ihres Vertrauens

Zwei Monate und gefühlte tausend Rezensionen nach Erscheinen des Buchs noch eine weitere Besprechung? Muss das sein? Nennt sich das noch „aktuell“? Doch Aktualität ist nicht alles.  Und wer sagt denn, dass dies hier nur noch eine weitere Würdigung wird? Vielmehr geht es auch darum, anhand von weiteren Entwicklungen beurteilen zu können, ob und inwiefern sich ein Buch wie das von Thilo Bode auswirkt, bewahrheitet oder – nachdem der Hype darum wieder abgeflaut ist – in Vergessenheit gerät. Nun, letzteres ist nicht zu befürchten. Dafür ist der Autor zu quirlig und rührig. In Sachen Kampagne macht ihm so schnell keiner was vor.

Das macht es Kritikern zuweilen leicht, ihm Aktionismus und Alarmismus zu unterstellen, auch und gerade in Sachen Freihandelsabkommen. Doch das nimmt er in Kauf, denn Bode ist ja nicht nur erfahrener Campaigner, sondern er nimmt auch Stimmungen auf wie ein Seismograf. Nicht zuletzt deshalb ist auch seine Organisation „Foodwatch“ so erfolgreich.

Es gibt nun schlechterdings kaum jemanden, der die kritischen Punkte von TTIP so pointiert darstellen kann wie Bode. Und das, obwohl er gleich anfangs einräumt, dass er keinesfalls gegen Freihandel ist, nur eben gegen die hier geplante Version bzw. das, was davon bisher bekannt geworden ist. Und das Wenige, das man weiß, das vielleicht auch zugespitzt oder eventuell sogar überspitzt dargestellt wird, lässt einen in der Tat erschaudern. Selbst in seiner mildesten Form.

Müßig ist die Frage, ob all das, was da an Vermutungen oder (fast) gesicherten Informationen kursiert, tatsächlich der Fall ist oder so eintreten wird, ob all die Befürchtungen Realität werden. Sie werden es – so wahrscheinlich wie die Reaktorunfälle der doch angeblich so sicheren Kernkraftwerke von Harrisburg (fast vergessen), Tschernobyl oder Fukushima. Will sagen: Beschwichtigungen wirken nicht mehr. Dafür wurde in den letzten zwei Jahrzehnten zu viel Vertrauen verspielt, zu oft gelogen und taktiert – und hinterher Krokodilstränen vergossen.

Schauen wir also auf das, was der Autor und seine Mitarbeiter an Material zusammengetragen haben. Und da fällt vor allem die Akribie auf, mit der recherchiert wurde und die es den Befürwortern eines Abkommens schwer macht, weiterhin zu behaupten, nur lautere Absichten zu verfolgen und das Ganze zum Wohl der Bürger voranzutreiben. Ganz zu schweigen von der Art und Weise, wie er die Scheinargumente der Befürworter seziert.

In der Öffentlichkeit entsteht ja – nicht zuletzt durch die mediale Berichterstattung – oftmals der Eindruck, der Protest sei in erster Linie ein deutsches Phänomen, vielleicht noch eines des einen oder anderen deutschen Nachbarlandes, kaum jedenfalls eines der EU-Mitglieder – insbesondere die Bürger in den nord- und osteuropäischen Staaten seien an einem derartigen Abkommen interessiert, heißt es – und ganz heiß seien die Bürger der USA hierauf. – Nichts da. Auch in den USA regt sich demokratischer Widerstand, protestieren Bürgerinitiativen und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen die Art und Weise der Bevormundung, wie diese Abkommen verhandelt werden – und gegen ihre bekannt gewordenen Inhalte. Und last but not least haben sich sogar Präsident Obamas eigene Parteileute gegen ihn gestellt, ihm das Mandat zum „Durchverhandeln“ versagt und ihn in seinem Feuereifer ausgebremst, das Abkommen (und auch das Transpazifische „TPP“) noch in seiner Amtszeit abzuschließen (siehe Bericht auf ZEIT online).

Wirft uns all das nun in die Steinzeit zurück? Nein, keineswegs. Die Verhinderung dieses Abkommens wäre ein Sieg für die Demokratie beiderseits des großen Teichs. Es wäre der Triumph der Handlungsfreiheit von Bürgerinnen und Bürgern über das Macht- und Profitstreben einiger weniger – und ein vernichtendes Urteil über den devoten Verzicht gewählter Volksvertreter auf ihr Mandat, das sie nicht den Lobbyisten, sondern den Wählerinnen und Wählern verdanken (von denen es leider immer weniger zur Urne treibt). Wenn sie TTIP durchbringen wollen, müssen sie sich schon ein anderes Volk suchen – frei nach Bert Brecht.

Da ist ein Neustart von Verhandlungen – und diesmal unter ausreichender Beteiligung von Zivilorganisationen und Bürgerrechtlern, Verbraucherschützern, Umweltorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften als Gegengewicht zum übermächtigen Lobbyismus – wesentlich günstiger zu haben. – Alles auf Anfang also, muss die Devise heißen. Es wäre eine Nachhilfestunde in Demokratie für diejenigen, die glauben, sich über sie hinwegsetzen zu können. Und das – nebenbei – wäre nicht die schlechteste Wirkung, die Bodes Buch haben könnte.

 

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