Denk-Mahl

Das Blog für Freunde des eigenen Verstandes

26. Januar 2016
von Johannes Bucej
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Vom „Ich“ zum „Wir“ – einige Gedanken zur aktuellen Ausgabe des Philosophie Magazins (2/2016)

Verfolgt man die Themen, denen sich das Philosophie Magazin im letzten Jahr gewidmet hat (Heft 4: Bin ich, was ich esse (s. meine Beiträge auf Denk-Mahl.de)?, Heft 5: Braucht mein Leben ein Ziel, Heft 6: Macht meine Arbeit noch Sinn?), kann man sie ziemlich eindeutig den individuellen Fragestellungen zurechnen, die sich in der Frage nach dem „guten Leben“ zusammenfassen lassen, zuletzt mündend in der Titelfrage von Heft 1/2016: Gibt es einen guten Tod?. Was aber, wenn nicht das „gute Leben“, sondern das Leben schlechthin oder noch schärfer: das Überleben – zur Disposition steht? Wenn die Frage nach dem „guten Leben“ überwältigt wird von der Frage nach dem Überleben überhaupt? Weiterlesen →

16. November 2015
von Johannes Bucej
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Vorbeugung gegen kulinarisches Fremdeln

Junior Slow e.V. (Hrsg.), Flora Hohmann, Manuel Reheis, Susanne Leontine Schmidt: Der kleine Koch. Lieblingsrezepte für Kinder, München, Oekom Verlag 2015, 70 Seiten, Hardcover, € 12,95, zu beziehen über die Buchhandlung Ihres Vertrauens

Letzte Woche sind sie erschienen: die großen Gastroführer, die alljährlich Deutschlands beste Restaurants auszeichnen mit Sternen, mit Hauben, Punkten, Kochlöffeln usw. Große Ehren für große Köche – wahre Künstler am Herd. Nach Frankreich hat Deutschland weltweit die meisten Sternerestaurants aufzuweisen.

Und dann gibt es die andere Seite: Gute Küche werde von der deutschen Öffentlichkeit noch immer kaum zur Kenntnis genommen, klagt Marten Rolff in der Wochenendausgabe der SZ vom 14./15. November und bezichtigt die Deutschen der kulinarischen Schizophrenie. Teuerste Küchen fürs Renommee, Trash-Food in der Kantine oder billigste Lebensmittel zu Hause aus der Mikrowelle und verdruckstes „Beichten“ nach dem Besuch eines Edelrestaurants. Nein, so richtig warm geworden sind die Deutschen offenbar mit guter Küche noch lange nicht.

Der Münchner Verein Junior Slow – ein Ableger von Slow Food München – setzt daher genau am richtigen Punkt an: Koch- und Geschmackserziehung schon bei den Kleinen, die diese Scheu gar nicht erst entwickeln sollen. Seit Jahren tourt das „Slow Mobil“, ein zur Küche umgebauter Bauwagen durch München, und besucht Schulen, Horte und Kindergärten, wo Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren in kleinen Gruppen unter Anleitung professioneller Köche das Kochen lernen. Inzwischen gibt es nach Münchner Vorbild weitere Slow Mobile in Frankfurt, Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg – und in immer mehr Städten, auch im Norden der Republik, gibt es weitere Interessenten.

Damit aus den kleinen Köchen gute und vielleicht auch mal große werden können, hat der Verein kürzlich ein Kochbuch herausgegeben: „Der kleine Koch“. Die Rezepte dazu haben die Küchenmeisterin Flora Hohmann und Küchenchef Manuel Reheis vom Münchner Restaurant Broeding entwickelt – und natürlich mit den Kindern im Slow Mobil erprobt. Liebevoll gezeichnet von der Künstlerin Susanne Leontine Schmidt, führt der kleine Koch mit seinem Freund Radieserl die angehenden jungen Kochkünstler Schritt für Schritt ans gute Essen heran – mit den richtigen Botschaften: gute saisonale Zutaten vom Markt oder Lebensmittelgeschäft (nicht vom Discounter) werden mit richtigem (!) Küchengerät (keinem Spielzeug), zu einfachen, aber geschmackvollen Leckereien verarbeitet. Ein Jahreszeitenkalender zeigt, welche Gemüse und Früchte wann Saison haben, die notwendige Küchenausstattung wird vorgestellt, Tipps für das richtige Verhalten in der Küche gegeben und die Vorratskammer mit häufig benötigten Zutaten bestückt. Und dann geht’s los: Im Frühjahr lockt die „Pizza Kunterbunt“ mit Frühlingsgemüse oder die „allerbeste Erdbeer-Holunder-Marmelade“, der Sommer prunkt mit „Zucchini-Raketen“ oder „Beereneis am Stiel“, im Winter wärmt eine Hühnersuppe mit Buchstaben – neben dem Seemannsfutter mit Blubbspinat übrigens das einzige nicht vegetarische Rezept – und natürlich dürfen auch die Lieblingsplätzchen zu Weihnachten nicht fehlen.

Ja, Kindern wird etwas zugetraut mit diesem Buch, das Helikopter-Eltern vielleicht mit Argwohn betrachten, wenn den Kindern empfohlen wird, beim Pfannkuchenbacken „unbedingt das Werfen“ zu üben, wenn mit scharfen Messern, dampfenden Töpfen und heißen Backblechen hantiert wird. Und noch etwas fällt positiv auf: Der kleine Koch und sein Freund Radieserl entsprechen nicht einem anorektischen Schlankheitsideal mit vorprogrammierter Essstörung, sondern strahlen eine gesunde Lebensfreude aus. Denn das darf gutes, gesundes Essen auch: schmecken. Ohne erhobenen Zeigefinger.

 

27. Oktober 2015
von Johannes Bucej
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Die Sünde des Fleisches

Eine Studie der WHO und ihre Konsequenzen

Die IARC – die Krebsagentur der WHO – stuft rotes Fleisch also als „wahrscheinlich krebserregend“ bzw. verarbeitetes rotes Fleisch (gepökelt, geräuchert, gegrillt …) als „krebserregend“ ein. Welch bahnbrechende Neuigkeit – welch hoher Erkenntniswert. Allgemein bekannt ist, dass in Südamerika und in den USA – mithin Regionen, in denen Rindfleisch in für den Normalesser unvorstellbaren Mengen verzehrt werden soll (und worauf ja die Kulinarik dieser Völker offenbar beruht) – die Darmkrebsrate signifikant höher liegt als – sagen wir – in Asien oder Afrika. Man hätte also nur die einschlägigen Statistiken anschauen müssen, um schon längst Alarm zu schlagen oder die überfälligen Schlüsse zu ziehen. So weit, so banal. Doch es stellt sich eine ganz andere Frage. Nämlich die nach dem Wert und dem Zweck dieser „Sensationsmeldung“, die sich kein deutsches Leitmedium gestern entgehen ließ. Weiterlesen →

15. Juli 2015
von Johannes Bucej
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Guten Appetit

Ein paar Anmerkungen zum Thema „Bin ich, was ich esse“ im Philosophie-Magazin 4/2015 – Fortsetzung von „Ich verzehre mich nach mir“

Hunger und Sexualität – gleichwertige Bedürfnisse?

Werfen wir noch einmal einen Blick auf das Editorial von Wolfram Eilenberger und fragen nach den Voraussetzungen? Guter Sex habe „Gabecharakter“ schreibt Eilenberger. Der Akt des Essens sei dagegen immer nichtkonsensuell, unilateral, gewaltbehaftet. Damit wird zunächst behauptet, Sexualität und Ernährung seien gleichwertige, gleichartige Bedürfnisse. Doch ist dem tatsächlich so? Muss sich das Nachdenken über beide – oder nur über eines von beiden – nicht vielmehr daran orientieren, was jedem für sich eigen ist? Schon darin liegt der erste Irrtum, hervorgerufen durch eine Begriffsunschärfe. Weiterlesen →

14. Juli 2015
von Johannes Bucej
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Ich verzehre mich nach mir …

„Bin ich, was ich esse?“; lautete die Titelfrage, der die Redaktion des Philosophie-Magazins in der diesjährigen vierten Ausgabe ein Dossier von rund 25 Seiten widmete. Gleich im Editorial bekannte Chefredakteur Wolfram Eilenberger, mit dem Thema seine liebe Not gehabt zu haben, wolle es ihm doch, seitdem er darüber nachdenke, nicht mehr so recht schmecken. Das Problem: Anders als guter Sex, dem doch Gabecharakter eigne, der auf wechselseitiger Einwilligung und Bejahung beruhe, sei der Akt des Essens immer nichtkonsensuell, unilateral, gewaltbehaftet. Er basiere für Wesen wie uns fast ausnahmslos darauf, etwas getötet zu haben, was eigentlich leben wolle. Und das gelte auch für bewussten, ethischen, nachhaltigen Konsum. Andererseits: Es gebe wenige Fragen, die wichtiger seien im Leben als die des Essens. Dazu passt, dass der zweite Schwerpunkt in diesem Heft „Dostojewski und die Schuld“ ist. Überhaupt dreht sich viel um dieses Thema „Schuld“, u. a. in einem Interview mit dem inzwischen zurückgetretenen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Weiterlesen →

(c) Johannes Bucej 2023